Besuch aus Kabul
Im Jahr 2006 war ich als "Structure & Planning Coach" Teil der Firmengründung PAIWASTOON in Kabul/ Afghanistan. Meine Erlebnisse sowie die weitere Entwicklung um das Unternehmen, meine Gründungs-Crew und mich dokumentiere ich hier.
Im Januar diesen Jahres habe ich mit 5 Freunden ein Projekt gegründet, das wir "Egopreneurship" getauft haben. Grob gesagt geht es um ein selbstbestimmtes Leben durch (unternehmerische) Selbstständigkeit. Erster Baustein sind Seminare, in denen die Teilnehmer auf die Suche nach ihrem Herzensprojekt gehen, über eigene Werte reflektieren und den Mut aufbringen, sich zu einer Idee und deren Umsetzung zu bekennen. Ein Egopreneur verwirklicht sich in Projekten und wächst dabei persönlich.
Neues von meinem ehemaligen Mitarbeiter Jawan Shir, der inzwischen in den USA studiert. In einem Radiointerview berichtet er über seine Jugend im Kriegsgebiet Afghanistan.
Hier ein Beitrag, den ich für den Imagine-Blog geschrieben habe und der von einem meiner Mitarbeiter aus Kabul motiviert wurde.
Wieder zurück in Deutschland gab es ein durchaus grosses Interesse an meinen Erlebnissen Afghanistan.
PAIWASTOON entwickelt sich langsam weiter. Mein Nachfolger Mike hat hat einiges im technischen Bereich bewegt. Wir haben ein Content Managemet System in Landessprache und einige nette afghan-konforme Services, wie z.B. eine Möglichkeit, Netzinhalte lokal zu komprimieren und so auch im bandbreitenschwachen Afghanistan schnell verfügbar zu machen. Ich bin jetzt endlich auch in Sachen Betriebssystem auf Open Source umgestiegen: Linux Ubuntu!
Das viele mächtige Männer in Afghanistan ihre Finger im Drogengeschäft haben, ist ein offenes Geheimnis. Auch einigen Gastgeber, die mich in Kabul bewirtet haben, haftet dieser Ruf an, was bei mir auch zu Gewissenskonflikten geführt hat. Sollte ich diese Menschen als Kunden behandeln - oder sie einfach meiden? Im Vorfeld meines Aufenthalts von Deutschland aus wäre diese Frage sicher leicht zu beantworten gewesen. Vor Ort zeichnete sich aber ein ganz anderes, graueres Bild.
26.07.2006
18.07.2006
15.07.2006
Ein Auftrag der Provinzregierung von Kunduz gibt mir mal wieder eine Gelegenheit ein bisschen durch das Land zu reisen.
Kunduz, in Deutschland vor allem bekannt durch die dort sehr starke Bundeswehrpräsenz, ist eine Stadt im Norden Afghanistans, von Kabul getrennt durch das mächtige Hindukusch Gebirge, welches es über den Salang-Pass zu überwinden gilt.
Mit zwei meiner Kollegen und einem für zwei Tage gemieteten Taxi geht die Reise los.
Zusammen mit endlosen LKW Lawienen (alle LKW’s liebevoll bemahlt und mit Accesoirs ausstaffiert) geht es die engen Passstraßen hinauf. Der Blick schweift über die zerklüftete Berglandschaft, unheimliche Mienenfelder, malerische Bergdörfer und zerstörte Panzerwracks. Man kann es sich bildlich vorstellen, wie diese drei ausgebrannten russischen Panzer dort unten einst von einer Horde Muschahedin, die plötzlich auf dem Bergkamm auftauchten, überfallen und vernichtet wurden. Gänsehaut!
Dann aber wieder unheimlich friedliche Bilder. Ein Händler hat seinen Stand mit frischen Maulbeeren direkt an der Straße aufgebaut. Er lädt ein, in seinen kleinen Oase am Gebirgsbach ein wenig zu verweilen und zu entspannen.
Picknik mit meinem Taxifahrer
Schließlich ereichen wir den Salang Tunnel, ein dunkles Loch im Berg, innen schlecht beleuchet und belüftet sowie mit unzähligen tiefen Schlaglöchern versehen. Der TÜV hätte das Ding wohl schon lange geschlossen. Hier ist der seinerzeit von den russischen Besatzern gebaute Tunnel die einzige zügige Nord-Süd Verbindung.
Auf der anderen Seite geht es wieder die Berge hinab und es wird unerträglich warm. Die Luftfeuchtigkeit ist hier bei 40 Grad sehr viel höher als in Kabul. Wir kurbeln die Fenter herunter, aber die hereinstöhmende Luft scheint das Auto nur noch mehr aufzuheizen.
In dem gegenüber Kabul sehr beschaulich wirkenden Kunduz angekommen, beziehen wir zunächst unser Quartier, das ich bereits am Vortag über Freunde organisiert hatte. Abends wurde eine deutsche Kneipe ausfindig gemacht, in der die fulminate WM-Begegnung "Deutschland : Argentienen" bejubelt und mit deutschem Bier begossen wurde. Etwas aufgeregt habe ich mich darüber, das einem meiner afghanischen Begleiter, der auch ein Bier bestellen wollte, dieses verweigert wurde. Auf sein bitten hin, habe ich mich aber nicht weiter darüber beschwert.
Am nächsten Tag dann Ortstermin bei der Provinzregierung. Unser Ansprechpartner spricht deutsch, da er lange in Hildesheim gelebt hat, so läuft die Verständigung gut. Sie wollen eine Webseite, haben aber leider das Problem, dass sie im Regierungsgebeude noch keinen Internetanschluss haben. Auch hierfür wird aber eine Lösung gefunden und ein Vertrag geschlossen.
Dann wird der Kofferraum noch mit den Regionstypischen Melonen vollgeladen und es geht wieder auf den Rückweg.
Nachdem nun das Büro eingerichtet und ein Team eingestellt ist, geht es an die Arbeit.
Meine Aufgabe ist es, innerhalb der kurzen Zeit die ich hier in Kabul bin, den 5 Jungs eine Grundstruktur zu geben in der der sie zukünftig arbeiten können.
Neben standarisierten Abläufen im Büro, habe ich besonderen Wert auf das gemeinsame Verständnis unseres Ziels und unserer Marke gelegt.
Der Chef (also icke) erleutert das Planungssystem
Wir haben uns gemeinsam mit dem Branding beschäftigt, welches unser kleines Uneternehmen prägen soll. Wir wollen in der Zukunft nicht nur als professioneller Dienstleister für internetgestützte Networking-Dienstleistungen auftreten, sondern wollen uns praktisch unseren eigenen Kundenstamm erschaffen, indem wir sehr viel Bildung vermitteln. Dies soll in Form von Seminaren geschehen, aber auch über unsere Werbung sollen Informationen transportiert werden, die über ein bloßes „diese Firme ist toll“ hinausgehen.
Einen weiteren wichtigen Baustein stellt der Versuch dar, einen „afghanischen Weg“ zu verfolgen. Dies soll bedeuten, dass PAIWASTOON nicht einfach erfolgreiche Konzepte aus der westlichen Welt kopiert sondern diese möglichst stimmig auf Afghansitan anpasst. Augescheinlich soll dies durch eine konsequente benutzung der beiden Landessprachen Dari und Pashtu werden, für deren Umsetzung wir als Experten gelten wollen.
Sehr zufrieden bin ich inzwischen mit der Arbeitsweise „meiner Jungs“. Wärend ich die ersten Tage und Wochen vornehmlich damit verbracht habe alle paar Minuten neue Aufgaben zu verteilen und in der zwischenzeit intensiv grübeln musste, was denn als nächstes zu tun sei, klappt das Delegieren inzwischen einwandfrei.
Jeder hat inzwischen seinen Verantwortungsbereich bekommen und innerhalb dieses Bereichs habe ich Projekte deffiniert mit denen die Jungs betraut sind. Das macht jetzt wirklich Spaß im Büro zu sitzen und zu sehen, wie alle wissen was sie zu tun haben. Ich kann jetzt selbst wieder inhaltlich arbeiten und längerfristig planen, muß nur ab und zu mal den Fortschritt loben oder auch mal korrigieren.
Seit 12 Stunden kein Strom (also auch kein Ventilator), 40° im Schatten und genausoviel Fieber. Das war der letzte Freitag. Das Ganze garniert mit einem RICHTIGEN Durchfall.
Nachdem wir dieser Zustand nach 3 Tagen unheimlich wurde und auch meine Kohletabletten meine Verdauung nicht mehr wiederherstellen konnten, habe ich schließlich das „Kabul German Medical Center“ ein Minikrankenhaus, betrieben von deutschen Ärzten, aufgesucht.
Unter anderen Umständen wäre das ein wirklich angenehmer Ort im chaotischen Kabul, mit Garten und sauberen schönen Räumen, in meinem Zustand war mir das allerdings ziemlich egal.
Zunächst ein Schock: Verdacht auf Thypus!
Dann aber relative Erleichterung. Eine Stuhlprobe (eine Tasse grüner Tee, die ich oben reingekippt habe und die unten, also hinten, Minuten später unverändert wieder herauskam) brachte die Ärztin zur Diagnose „Parasiten“. Das ganze ist ähnlich einer Salmonellenvergiftung und als Gegenmaßnahme muss ich nun massive Antibiotike schlucken. Toll! Gerade jetzt wo die Fußball WM beginnt. Auf meine Frage ob ich denn noch Bier trinken dürfe, bekam ich die Antwort: „Dürfen tun sie, aber schmecken wird es ihnen nicht“. Geschmeckt hat es gut, aber bekommen ist es mir absolut nicht.
Nach den letzten Unruhen wäre auch mein geplanter Ausflug nach Bamyan und Band-e-amian fast ins Wasser gefallen, aber nach Rücksprache mit einigen Afghanen, die die Reise als relativ gefahrlos eingestuft haben, mache ich mich gemeinsam mit meinem Angstellten und Freund Waheeddullah auf den Weg.
Zunächst müssen wir in einer Markthalle für Inlandsreisen das richtige Fahrzeug auswählen. In einer dichten Menschenmenge rufen die Fahrer, der Mitsubischi Kleinbusse die Fahrziele aus... „Mazar, Mazar, Mazaaaaaar!“, „Kandhahaaaaaaar“, „Bamyaaaaaan“... aha, hier sind wir richtig. Ich überlasse Waheedullah das Aussuchen des Fahrzeugs und Aushandeln des Preises. Im 8 Sitzer geht es dann los, gemeinsam mit 6 weiteren Afghanen. Die geteerte Straße wird schon nach rund 20 Minuten verlassen, der größte Teil der Strecke geht über bucklige Naturpiste. 7 Stunden Fahrt sind angepeilt. Im Bus herrscht gute Stimmung, nehme allerdings nur sporadisch an der Konversation Teil, da es recht laut ist, ich den afghanischen Humor sowieso nicht wirklich verstehe und es draußen so viel zu sehen gibt.
Unser Überlandbus
Endlich kann ich einen Blick auf Afghanistan werfen, nachdem ich bisher nur das dreckige, stinkende, chaotische Kabul kennengelernt habe. Wüstenlandschaften wechseln sich ab mit unglaublich grün erscheinenden Feldern auf denen pink gewandete Frauen arbeiten, was überhaupt nicht kitschig wirkt, sondern einfach nur schön anzusehen ist. Im Krieg zerstörte Dörfer aber auch äußerst lebendige kleine Orte werden passiert. Schließlich klettert unser kleiner Bus immer höher in die Berge. Ich weiß noch immer nicht wie hoch wir da waren, es gibt aber wirklich atemberaubende Passstraßen und Hochplateaus zu sehen. Immer wieder mal garniert mit russischen Panzerwracks. Die Toilettenpausen müssen direkt an der Piste abgehalten werden, „hinterm Busch“ ist nicht, wegen der Minen, die links und rechts der Straße vor sich hin rosten.
Der „Abstieg“ nach Bamyan führt vorbei an einer jahrhundertealten (nicht mehr bewohnten) Felsenstadt, die in den „Grand Canyon“-roten Fels- gehauen ist.
Bamyan selbst ist eine ziemlich kleine Stadt, bekannt geworden durch die riesigen Felsbuddas (Weltkulturerbe), die die Taliban seinerzeit aus dem Fels gesprengt haben... Abbildungen von Lebewesen duldet der Koran nach ihrer Auslegung rigoros nicht.
In Bamyan nehmen wir uns ein kleines Zimmer in einer Pension. Im Zimmer liegt nur ein Teppich, zwei Matten und zwei Decken. Es ist dreckig und muffig, kostet aber nur 6,50 $ für zwei Nächte, inklusive Tee „all you can drink“! Eine Toilette oder Dusche gibt es auch nicht, nur eine öffentliche Bedürfnisanstalt, die ich hier lieber nicht beschreiben möchte.
Wenn es in Kabul schon ein etwas komisches Gefühl ist, als Ausländer durch die Straßen zu gehen, hier potenziert sich das ganze noch mal. Man kommt sich wirklich vor, wie von einem anderen Stern.
Beim Besichtigen der zerstörten Buddas (die Uno restauriert die Kulturdenkmäler derzeit, so gut es geht), treffen wir drei amerikanische Touristen. Für 10 Dollar haben sie sich Einlaß in den gesperrten Innenbereich der Buddas erkauft und wir dürfen mitkommen. Die Jungs fangen natürlich sofort an, in den Ruinen herumzuklettern, um Photos zu schießen. Dabei brechen dicke Gesteinsbrocken aus der Wand heraus, was mit Gejohle zur Kenntnis genommen wird. Super Aktion, die mal wieder von der hohen Achtung vor uralten kulturellen Schätzen zeugt... großartig!
Die berühmten Höhlenstaädte von Bamyan mit den Ex-Buddhas
Am folgenden Tag heuern Waheedullah und ich dann einen Taxifahrer an, der uns in dreistündiger Fahrt, über noch holperigere Pisten als am Vortag nach Band-e-amir fährt, einem See mitten in der Steppen/ Berglandschaft Afghanistans. Das Taxi rutscht auf der Piste hin und her, während der Fahrer uns lachend erzählt, dass das Autowrack, welches wir vor uns sehen, von der Straße abgekommen war und direkt in ein Minenfeld gerast ist. Dazu drückt er noch mal ordentlich das Gaspedal durch.
Als wir den See aus einiger Entfernung sehen können, sind wir schwer beeindruckt. „Das wird in der Zukunft einmal eines DER Tourismusziele Afghanistans sein“, denke ich mir. Azurblaues Wasser, umrahmt von einer unwirklichen, malerischen Landschaft.
Am See angekommen stelle ich fest, dass die Zukunft schon längst begonnen hat. Eine deutsche Touristengruppe, komplett mit Napfhüten und Photoausrüstungen ist schon da. Ich halte nur einen kurzen Plausch, dann mache ich mich mit meinem Begleiter zu einer Wandertour rund um den See auf. Ich will jetzt hier auch gar nichts weiter schreiben, die Bilder sprechen denke ich für sich.
29.05.2006
Als ich mich entschlossen habe, ein Praktikum in Afghanistan zu absolvieren, habe ich natürlich mehr als einmal über die Gefahren nachgedacht, die damit verbunden sind. Ich habe versucht mir auszumalen, in welche Situationen ich kommen könnte und wie ich regieren würde.
Aber natürlich sieht die Wirklichkeit anders aus!
Diesen Montag werde ich wahrscheinlich mein Leben lang nicht vergessen. Zum einen weil ich erlebt habe wie es ist sich in Lebensgefahr zu fühlen, zum anderen weil ich viel über Menschen und ihr (bzw. mein) Handeln in Extremsituationen gelernt habe.
Aber von Beginn an: Am Montag Vormittag waren plötzlich überall in Kabul die Sirenen von Krankenwagen und Polizeifahrzeugen zu hören. Ein Mitarbeiter, den ich zur Bank geschickt hatte, berichtete, dass viele Straßen in der Stadt gesperrt sind und Schüsse zu hören waren.
Also Fernseher an und Informationen sammeln: Ein US-Militärkonvoi mit schweren Lastwagen hatte in einem Unfall zwei Taxi zermalmt und dabei einen Menschen getötet und viele verletzt. Daraufhin kam es zu spontanen Protesten der Afghanen gegen die GI’s. Die Fahrzeuge wurden mit Steinen beworfen und ein wütender Mob kreiste die Soldaten ein. Wer einmal eine US Patrouille in Kabul hat fahren sehen, der kann zumindest ein wenig Verständnis für die Wut empfinden, denn wer den Anspruch hat in einem Land bestimmte Regeln durchzusetzen, der sollte sich auch selbst an diese halten.
Was passierte nachdem die wütende Menge anfing Steine zu werfen, darüber kursieren unterschiedliche Berichte. Die Militärs wurden wohl nervös und begannen zu schießen.
Nach eigenen Angaben haben sie über die Köpfe der Demonstranten geschossen und zur Hilfe eilende afghanische Polizei hat dann in die Menge gezielt. Andere Stellen berichten, sie hätten selbst das Feuer auf die Angreifer eröffnet und seien dann einfach durch die Menschen hindurchgefahren. Wie auch immer, das Resultat waren 30 Tote und viele Verletze.
Über der Stadt waren Rauchwolken zu sehen, wie sie entstehen wenn Reifen angezündet werden.
Auf einmal waren in einiger Entfernung Schüsse zu hören und das Gerücht kam auf, dass die Ausschreitungen sich in unsere Richtung bewegen würden. Ein weiterer Mitarbeiter rief völlig aufgelöst an und teilte mit, eben wäre gerade vor ihm ein Mensch von der Polizei erschossen worden, er sei gerade noch so entkommen. Langsam brach die Angst aus in unserer Straße. Geschäfte wurden verschlossen und Autos weggefahren. Das kurioseste allerdings war, die Polizisten am nahegelegenen Kontrollposten tauschten ihre Uniformen gegen Zivilkleidung und machten sich vom Acker. Inzwischen war klar, dass unser Viertel Ziel von Angriffen werden würde, da hier viele NGO’s untergebracht sind und viele Ausländer leben, die inzwischen kollektiv Ziel des Zorns geworden waren.
Auf der Straße braut sich was zusammen
Eine deutsche Journalistin, Frederike, die gerade bei uns zu Gast war, schlug vor, eine Leiter an die hintere Wand des Innenhofes zu stellen, um einen zweiten Weg aus dem Gebäude zu haben. Als Geschrei, Glassplittern und vereinzelte Schüsse ganz bei uns in der Nähe zu hören waren, tauchten auf einmal Menschen auf der Mauer zu unserem Nachbargrundstück auf, zuerst ein Mann. Ich dachte: „Scheiße sie kommen!“ Er saß in der Hocke auf der Mauer und ich stand alleine davor. Als ich ihm in die Augen sah, wurde mir allerdings klar, dass er in diesem Moment genauso viel Angst hatte wie ich. Hinter ihm tauchte eine Frau, eine Chinesin, auf und mir wurde klar, dass sich dort wohl die Belegschaft des angeblichen Chinesenpuffs neben unserer Mediothek in Sicherheit bringen wollte. Ich gab ihnen zu verstehen, dass sie rüber kommen sollten. Inzwischen hatten auch die afghanischen Mediotheksmitarbeiter Wind von der Sache bekommen und waren gar nicht begeistert. Die Chinesen waren eine zusätzliche Gefahr für uns, soviel war klar.
Die Puffbelegschaft zu Besuch
Auf den Häusern um uns herum standen auf einmal überall Leute, die sich wohl dort in Sicherheit bringen wollten. Allerdings war nicht klar, ob sie nicht doch eine Gefahr für uns darstellten. Daher mussten die Chinesen und ich uns verstecken, da wir deutlich als Ausländer erkennbar waren. Frederike flüchtete über die Leiter zu den Nachbarn. Bei einer afghanischen Familie ist es in einer solchen Situation sicherer, als in einem Gebäude, das von aussen deutlich als internationale NGO erkennbar ist. Da bei den Nachbarn allerdings nur Frauen zu hause waren, wollten die keine Männer aufnehmen, die Chinesinnen wurden besser erst gar nicht erwähnt.
Ich sollte in ein Zimmer im Erdgeschoss gehen und mich dort einschließen, die Chinesen sollten im Vorraum bleiben. Durch das Fenster konnte ich sehen wie direkt vor unserem Haus auf der Straße Rauch aufstieg, wohl ein brennendes Auto, und ich hörte Geschrei und Fensterscheiben splittern. Außerdem konnte ich hören wie der Mob gegen ein Blechtor trommelte. Aus dem Fenster konnte ich auch die Mauer über die die Chinesen gekommen waren sehen. Ich hörte das Blechtor nachgeben und kurz danach sah und hörte sich wie auf dem Nachbargrundstück, keine 5 Meter von mir weg, die Zerstörung begann. Als es nach 10 Minuten etwas ruhiger wurde, öffnete ich meine Tür, um nach den Chinesinnen zu sehen. Die saßen immer noch verängstigt im Vorraum und bedankten sich bei mir, dass sie bleiben durften. Da mir nichts besseres einfiel, machte ich uns erst mal einen Tee. Dann verließ ich den Gebäudeteil, um die Lage zu erkunden. Zwei meiner Mitarbeiter, ein AIESECer und 9 Mediotheksleute (darunter drei heulende Putzfrauen) waren im Vorhof versammelt.
Die Straße vor meiner Tür
Ich gab ihnen zu verstehen, dass ich mich nicht mehr in dem Raum verstecken wollte. Daraufhin bekam ich afghanische Kleidung inklusive Kopftuch, damit mich niemand als Ausländer erkennen könne. Ich holte meinen Photoapparat schoss ein paar Bilder. Vom Nachbargrundstück stieg Rauch auf.
Plötzlich wurde der Rauch stärker und Flammen schlugen hoch. Es hatte wohl jemand einen Molotovcocktail in das Gebäude geworfen. Die Flammen schlugen über die Mauer unseres Grundstücks. Wir begannen die Holzteile von der Mauer zu reißen, sowie die EDV-Gegenstände aus dem direkt angrenzenden Büro zu retten. Hier machte sich meine Verkleidung bezahlt, denn lediglich die Nase hat eine ordentliche Dosis Hitze abbekommen.
Feuer im Nachbarshaus
Falls es hier so aussieht als ob ich grinse, dann ist das warscheinlich nur die Freude über die gelungene Verkleidung
Als das Gebäude in hellen Flammen stand gab es nicht mehr viel was wir tun konnten, denn der Strom für die Wasserpumpe war auch inzwischen ausgefallen.
Der Chinesenpuff brannte bis auf die Grundmauern herunter, unter dem Gejohle kleinerer Gruppen, die immer noch auf den Straßen herummarodierten.
Nach über drei Stunden Anarchie erschien endlich Polizei auf den Dächern. Weiter die Straße hinauf, war erneut Gewehrfeuer zu hören. Die Polizei wollte uns evakuieren, unsere Afghanen hatten dafür aber nur Protest und Anschuldigungen über: „ Ihr wollt doch nur, dass wir hier abhauen, damit ihr das Haus ausräumen könnt!“ Soviel zum Image der Ordnungshüter.
Nach drei Stunden Chaos erscheint die Polizei
Jetzt als es ruhig wurde, kam auch Frederike zurück. Sie entschloss sich, einen Fahrer des Goetheinstituts Kabul zu bitten, sie abzuholen, da es dort sicherer sei. Ich wollte zunächst bleiben, allerdings bestand die Gefahr, dass sich herumspräche, dass wir die Chinesen aufgenommen haben, also nahm ich das Angebot, welches einer meiner Mitarbeiter (Jawanshir) mir gemacht hatte an, die Nacht bei seiner Familie unterzukommen. Gemeinsam mit ihm und in meiner „Original Afghane“ Verkleidung ging es in einem Taxi durch die Stadt. Das Gebäude der Hilfsorganisation CARE war ebenfalls abgebrannt, an manchen Wänden sah man Spuren von Molotovcocktails, viele Scheiben waren zersplittert.
Das ausgebrannte Nachbarshaus
Wie Jawanshir mir nach der Fahrt erklärte, hätte meine Verkleidung wohl funktioniert. Der Fahrer hätte die ganze Zeit über gegen die dekadenten Ausländer gewettert.
Bei seiner Familie wurde ich herzlich aufgenommen. Wir haben lange über Afghanistan und Politik diskutiert und sein Vater hat die ganze Nacht über Wache gehalten.
Schönheit liegt ja im Auge des Betrachters. Schönheit und Ästetik haben aber wohl auch eine kulturelle Dimension. Dafür, dass mein deutscher/europäischer Sinn für Ästetik sich nicht immer mit dem afghanischen Deckt, sind mir in der vergangenen Woche zwei schöne Beispiele begegnet.
Auf der größten Messe Afghanistans, der „Investing in Afghanistan“ darf ich mit „meiner“ Firma natürlich nicht fehlen. Also Messestand gemietet, Broschüren und Poster gedruckt und meinen Jungs noch schnell eine Verkaufsschulung verpasst.
Waheedullah und Khalid in unserem Messestand
Auf der Messe sind wir Teil des „German Pavillon“, der vom BDI organisiert wird.
Zusätzlich zur Messe gibt es eine Kabul-Rundreise für die deutsche Delegation.
Mit 20 anderen deutschen (bzw. größtenteils deutsch/afghanischen) Geschäftsleuten besuche ich Firmen Regierungsstellen und die afghanische Handelskammer. Am ersten Abend gibt es einen Empfang in der deutschen Botschaft. Endlich mal wieder ein paar echte Bier hinter die Binde gießen, und das auch noch in Gesellschaft des Botschafters.
Besonders erwähnenswert an der ganzen Reiseaktion ist zum einen die Polizeieskorte, die unseren Bus mit lautem Sirenengeheul und Megaphonansagen durch den Stau gelotst hat, zum anderen die Firma Hoch-Pharma. Hoch-Pharma ist ein privatisiertes Unternehmen, das komplett auf die ehemalige Hoechst AG aufbaut, die hier in den 70ern eine komplette Fabrikation importiert hat. Die beiden deutsch/afghanischen Besitzer sind sehr stolz darauf, dass fast alles, was Hoechst seinerzeit ins Land geschafft hatte, so noch erhalten und in Benutzung ist. Auch das Gebäude ist ein Hoechst-Produkt, so wie die Firma es standardmäßig an allen Produktionsstandorten errichtet hat. Das ganze ist eine Art Zeitreise in die deutschen 70er Jahre. Vom orangen Telefon mit Wählscheibe über die furnierten Schreibtische bis zur Lochkarte (richtige Computer sind hier Fehlanzeige – also für mich auch kein Geschäft zu machen) alles original. Wer also vorhat, so was wie „Der große Bellheim“ in einer 70th Version zu drehen, hier ist er richtig. Natürlich ist auch die ganze Produktion stilecht, was aber auch Sinn macht, da die alten Maschinen leichter zu reparieren und weniger anfällig gegen Stromschwankungen sind.
Zum Abschluß noch eine letzte Anekdote der Rundreise: Beim sammeln im Hotel schnacke ich mit einem Vertreter von ARIAN Naturdärme (hö,hö), ein weiterer Deutsch/Afghane und stelle fest, dass er aus Braunschweig kommt. Ich befrage ihn nach der afghanischen Community in BS und speziell danach, ob meine Vermutung richtig sei, dass der Besitzer meines Lieblingscafes (Journal am Wollmarkt) Afghane sei. Darauf er: „Ja, dass ist der Herr da drüben!“ Kleine Welt!
Ach ja, die Messe war dann ganz ok, ein paar Neukunden sollten rausgesprungen sein. Mal sehen.
Besonders beeindruckend waren hier die kleinen Kinder, die durch irgendwelche Zaunlöcher auf das Gelände gelangt sind und nun, ständig verfolgt von den Wachmännern, versuchen, alles abzugreigfen was die Messestände hergeben. Gut, dass der BDI uns mit Coladosen versorgt, so können wir immer ordentlich verteilen. Zusätzlich habe ich mal meine Gummibärchen-Vorräte mitgebracht, die reißenden Absatz finden.